Die extrem expansive Geldpolitik hat zu einer Diskussion über den Nutzen von Bargeldgeführt. Kritiker bringen vor allem drei Gründe gegen Cash vor. Letztlich sind alle falsch. Von Aleksander Berentsen und Fabian Schär
Bargeld ist bei vielen Politikern und Ökonomen in Ungnade gefallen. Ver- mehrt gibt es Forderungen, der Bargeldgebrauch solle weiter eingeschränkt oder gar gänzlich verboten werden. Die Argumentation der Kritiker basiert primär auf drei Anklagepunkten: Erstens, so die Behauptung, sei die Verwendung von Bargeld ineffizient und deutlich kostenintensiver als elektronische Zahlungen. Zweitens fördere Bargeld die Kriminalität und erleichtere Geldwä- sche und Steuerhinterziehung. Drittens behindere Bargeld die Geldpolitik, da es die Zentralbanken des Instruments der negativen Nominalzinsen beraube.
Einzigartige Eigenschaften
Die ersten beiden Anklagen sind mittlerweile zu Klassikern herangereift, welche oft zitiert und genauso oft widerlegt wurden. Sollte die Verwendung von Bargeld tatsächlich ineffizient sein, würden sich effizientere Zahlungsmittel durchsetzen. Die noch immer weite Verbreitung von Bargeld zeigt, dass es über einzigartige Eigenschaften verfügt, welche zu einer hohen Nachfrage führen. Historisch betrachtet ist Bargeld ferner ein relativ junges Phänomen. Im Gegensatz dazu erfreuen sich Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung eines viel höheren Alters. Es wäre also naiv zu glauben, dass Bargeld die Ursache dieser Probleme sei.
Die dritte Anschuldigung ist vergleichsweise neu. Sie basiert auf der Tatsache, dass Bargeld keinen Zins abwirft, angeblich aber ein perfektes Substitut zum elektronischen Buchgeld darstellt. Solange also die Möglichkeit besteht, auf eine zinslose Alternative auszuwei- chen, wird das mit negativen Zinsen behaftete Buchgeld gemieden und eine Negativzinspolitik der Zentralbank ver- unmöglicht – so zumindest die Theorie der Kritiker. Bereits eine einfache Prü- fung der Fakten zeigt, dass auch das dritte Argument falsch ist. Gleich meh- rere Zentralbanken haben jüngst negative Zinsen zwischen –0,2% und –0,75% implementiert. Die dänische Nationalbank verwendet das Instrument seit fast drei Jahren, und auch die Schweizerische Nationalbank kann mittlerweile auf ein Jahr Erfahrung zurückgreifen. Interessanterweise hat es keine dieser Zentralbanken für nötig erachtet, flankierende Massnahmen in Form der Bar- geldabschaffung zu ergreifen. Die Koexistenz von geringen Negativzinsen und Bargeld ist also möglich.
Bargeld-Kritiker vergessen oft, dass das Halten von physischer Währung Kosten verursachen kann; etwa für Beschaffung, Transports, Lagerung und allfällige Versicherungsprämien. Diese Kosten führen dazu, dass Bargeld meist einen negativen Ertrag abwirft. Folglich gibt es keinen Grund zur Annahme, ein Nominalzins von null stelle einen magischen Schwellenwert dar, der wegen der Existenz von Bargeld nicht unterschrit- ten werden kann. Als sich die Evidenz gegen die Existenz des «Zero Lower Bound» (ZLB) häufte, wurde der magi- sche Wert einfach nach unten korrigiert. Der ZLB wich dem Begriff des «Effective Lower Bound» (ELB), einer vermeintlichen Untergrenze irgendwo im gering negativen Zinsbereich.
Offensichtlich wird aber nach wie vor nicht verstanden, dass die Idee eines solchen globalen Schwellenwertes grundsätzlich falsch ist, da die Kosten und die Beweggründe für die Bargeldhaltung heterogen sind. Privatpersonen, welche nur einen relativ geringen Betrag «unter der Matratze» lagern, werden eine ganz andere Kostenstruktur vorfinden als institutionelle Anleger, die mit enormen Summen hantieren und von Regulierungen betroffen sind. Hinzu kommt, dass die Negativzinsen lediglich einen Teil der Wirtschaftssubjekte betreffen. Diese Heterogenität verhindert die Existenz einer allgemeingültigen ELB, deren Unterschreitung die kollektive Abkehr vom Buchgeld zur Folge hat. Es handelt sich vielmehr um einen graduellen Prozess, der durch die persönlichen Erwartungen und Kostenstrukturen eines jeden Individuums getrieben wird.
So wie es keinen globalen Zinsschwellenwert gibt, dessen Unterschreitung eine kollektive Flucht ins Bargeld zur Folge hat, gibt es auch keinen positiven Zinsschwellenwert, bei dem plötzlich die komplette Nachfrage nach Bargeld versiegt. Der Grund hierfür liegt darin, dass Bargeld ganz spezielle Eigenschaften aufweist, die es deutlich von Buchgeld unterscheiden. Dies zeigt etwa der starke Anstieg des Franken-Bargeldumlaufs von knapp 7% im Jahr 2008 auf nun 10% des Bruttoinlandpro- dukts, der sich nicht durch eine Verände- rung der Nominalzinsen oder der Infla- tionserwartungen erklären lässt.
Unterminiertes Vertrauen
Wir sind der Ansicht, dass dieser Anstieg eine direkte Folge der Finanzkrise 2007/08 und der «Euro-Krise» ist. Beide haben die Erwartungen der Wirtschafts- subjekte stark geprägt und das Vertrauen in das Finanzsystem untergraben. Vor allem haben die Krisen auch das Vertrauen in staatliche Institutionen erschüttert. Die Fähigkeit der Zentral- bank, erneut als Kreditgeber letzter Instanz zu handeln, wird angezweifelt. Und auch die Möglichkeit der Regierungen, eine weitere Finanzkrise zu überstehen, ohne dabei zu drastischen Massnahmen wie Sondersteuern oder Zwangs- konversionen (Grexit) greifen zu müssen, ist infrage gestellt.
Bargeld ist ein Mittel zur Aufbewahrung liquider Werte ausserhalb des Finanzsystems und ermöglicht, sich gegen einen Teil des systemischen Risikos zu schützen. Es ist eine Versicherung gegen die Zahlungsunfähigkeit von Finanzinstituten, konfiskatorische Steu- ern sowie Zwangskonversionen und deshalb ein gefragtes Diversifikationsinstrument in Zeiten der Unsicherheit. Es wäre folglich falsch, Bargeld abzuschaffen oder dessen Gebrauch weiter einzuschränken. Länder wie Frankreich und Italien, welche sich in den letzten Jahren an der Front dieser Forderungen bewegt haben, sollten stattdessen ver- suchen, neues Vertrauen zu schaffen. Nur so können Wirtschaftssubjekte dazu bewogen werden, wieder vermehrt im Finanzsystem zu operieren.
Aleksander Berentsen ist Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Basel und Fabian Schär arbeitet dort als Assistent.