Schadenfreude und Sündenfälle

Die wirtschaftliche Stimmung in den USA ist düster und langsam macht sich Ratlosigkeit breit. Befürchtet wird eine langjährige Phase mit geringen Wachstumsraten, gepaart mit einer überdurchschnittlichen Arbeitslosenrate. US- Kommentatoren sehen jedoch auch Positives, denn „lucky lucky lucky“ sei die Lage in den USA nicht so hoffnungslos wie in Europa, welches ihrer Meinung noch schlechter da stehe. Die Europäer sehen das sehr ähnlich. Die ökonomische Lage ist ebenfalls problematisch und es braucht ausserordentliche Anstrengungen, um Europa wieder auf Vordermann zu bringen. Doch „Gott sei Dank“ stehe Europa vergleichsweise besser da als die USA.

Diese weitverbreitete Schadenfreude ist Ausdruck von Ratlosigkeit und wenig nachvollziehbar. Beide Wirtschaftsregionen leiden unter ähnlichen Krankheiten, deren Ursachen identisch sind. Das Symptom ist eine wirtschaftliche Phase, welche sich mit „deleverage“, sprich Entschuldung, umschreiben lässt. Ursache dafür ist die Neigung der Politik, mehr zu versprechen als sie halten kann sowie die Deregulierung des Finanzsektors in den 80er und 90er Jahren.

Diese Deregulierung hatte einen Kreditboom ausgelöst, der über viele Jahre die Wirtschaftsmotoren geölt hat. Der Politik kam das sehr gelegen, da der Boom inhärente Schwächen überdeckte. Der sich aufblähende Finanzsektor hatte unter anderem die amerikanische Immobilienblase kreiert, welche 2007 platzte. Die Politik reagierte darauf mit verschiedenen Notmassnahmen. Der Finanzsektor und die Realwirtschaft wurden stabilisiert, mit dem Resultat, dass die Verschuldung weg vom Privatsektor in die staatlichen Bilanzen migriert ist. Heute sind die Zinsen auf einem historischen Tief. Das implizite Ziel dieser Politik ist die Stabilisierung der Banken und die Ankurbelung der Finanzmärkte. Die Menschen sollen sich wieder reicher fühlen und über zusätzliche Verschuldung die Wirtschaft erneut ins Rollen bringen.

Auf beiden Kontinenten wird diese Art der Geld- und Fiskalpolitik jedoch nicht erfolgreich sein. Auf einen Kreditboom, der sich über mehrere Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte aufgebaut hat, folgt eine lange Entschuldungsphase. Diese Phase beinhaltet zwingendermassen unterdurchschnittliche Wachstumsraten, begleitet von einer überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit. Die Politik kann diese Entwicklung kaum positiv beeinflussen, aber spielend leicht verschlimmern. In den USA beispielsweise bekämpfen sich die Parteien bis aufs Blut. Dieser Zwist hat letztendlich zur Herabstufung der amerikanischen Kreditwürdigkeit durch Standard & Poor‘s geführt. Diese Herabstufung ist weniger durch die eigentliche Kreditwürdigkeit der USA begründet als durch die berechtigte Einschätzung, dass die amerikanische Politik zunehmend dysfunktional geworden ist.

In Europa ist der Euro ein zusätzliches Problem. In jedem Lehrbuch über Währungssysteme ist nachzulesen, dass eine gemeinsame Währung eine gemeinsame Fiskalpolitik bedingt. Die Folgen dieser fehlenden gemeinsamen Fiskalpolitik waren während des Kreditbooms nur sporadisch sichtbar. Dies hat sich nun drastisch geändert. Die Schlussfolgerung muss sein, entweder eine gemeinsame Fiskalpolitik einzuführen oder den Euroraum auf wenige Kernländer zu reduzieren. Da mit grösster Wahrscheinlichkeit noch weitere Krisen auf uns zukommen, wird sich diese Einsicht irgendwann von selbst einstellen.

Die Finanzkrise hat eine gemeinsame Schwäche auf beiden Kontinenten schonungslos aufgezeigt, namentlich die Tendenz der Politik, mehr zu versprechen als möglich ist. Einerseits wurde suggeriert, dass über eine geeignete Geld- und Fiskalpolitik die Konjunkturzyklen geglättet werden könnten. Gleichzeitig wurde die Illusion genährt, dass die Geldpolitik über den sogenannten „Greenspan-Put“ das Risiko an den Börsen nach unten absichern könne. Und schliesslich wurden über viele Jahre hinweg die Sozialsysteme ausgebaut, trotz einer sich deutlich abzeichnenden Überalterung der Bevölkerung. Wie viel Wert diese Versprechungen haben, sehen wir aktuell am Beispiel von Griechenland.

Welche Bedeutung haben diese Entwicklungen für die Schweiz? Wir stehen im Moment eindeutig besser da. Die Schweizer Politik scheint mit all ihren Schwächen besser zu funktionieren und die Sozialsysteme werden laufend reformiert, um sie auf einem tragfähigen Niveau zu halten. Die Finanzmärkte sind sich dessen genau bewusst, was den Aufwärtsruck auf den Schweizerischen Franken zusätzlich erklärt.

Um diesem Aufwärtsdruck zu begegnen, hat die Schweiz mit zwei Massnahmen reagiert, welche in normalen Zeiten wirtschaftspolitische Sündenfälle darstellten. Erstens druckt die Schweizerische  Nationalbank zurzeit Schweizer Franken am laufenden Band. Zwar hilft diese Massnahme tendenziell, den Schweizerfranken zu stabilisieren, allerdings mit dem Kollateralschaden, dass durch die rekordniedrigen Zinsen und die Liquiditätsschwemme Öl in den sich abzeichnenden Immobilienboom gegossen wird. Zweitens plant der Bundesrat, Milliarden an den Tourismus und den Exportsektor zu verschenken. Damit nährt er den Glauben, der Staat könne private Verluste jederzeit in seine eigenen Bilanzen übernehmen. Noch schlimmer: Er weckt Begehrlichkeiten. Der Bundesrat kann sicher sein, dass in Zukunft weitere Branchen vor seiner Türe die hohle Hand machen werden.

Wenn der Bundesrat mit seiner Stützungspolitik in diesem Rhythmus weiter macht – Swissair, UBS, Tourismus – wird er ungewollt auch einen Beitrag zur Stabilisierung des Schweizer Frankens leisten. Je ähnlicher unsere Wirtschaftspolitik derjenigen Griechenlands wird, desto ähnlicher werden der Schweizer Franken und der Euro.

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