Unsinnige Forderung nach Bargeldverbot (NZZ 04.01.2016)

Die extrem expansive Geldpolitik  hat zu einer Diskussion über den Nutzen von Bargeldgeführt.  Kritiker bringen vor allem drei Gründe gegen Cash vor. Letztlich sind alle falsch. Von Aleksander Berentsen und Fabian Schär

Bargeld  ist bei vielen Politikern und Ökonomen in Ungnade gefallen. Ver- mehrt gibt es Forderungen, der Bargeldgebrauch solle  weiter  eingeschränkt oder gar gänzlich verboten werden.  Die Argumentation der Kritiker basiert  primär auf drei Anklagepunkten: Erstens, so die Behauptung, sei die Verwendung von Bargeld ineffizient und deutlich kostenintensiver als elektronische Zahlungen.  Zweitens fördere Bargeld  die Kriminalität und erleichtere Geldwä- sche und Steuerhinterziehung. Drittens behindere Bargeld die Geldpolitik, da es die Zentralbanken des Instruments der negativen Nominalzinsen beraube.

Einzigartige Eigenschaften

Die  ersten  beiden  Anklagen sind mittlerweile zu Klassikern herangereift, welche oft zitiert und genauso  oft widerlegt wurden.  Sollte die Verwendung von Bargeld tatsächlich  ineffizient sein, würden sich effizientere Zahlungsmittel durchsetzen. Die noch immer weite Verbreitung von Bargeld  zeigt, dass es über einzigartige Eigenschaften verfügt, welche zu einer hohen  Nachfrage führen. Historisch betrachtet ist Bargeld  ferner ein relativ junges Phänomen. Im Gegensatz dazu erfreuen sich Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung eines viel höheren Alters.  Es wäre also naiv zu glauben, dass Bargeld die Ursache dieser Probleme sei.

Die dritte  Anschuldigung ist vergleichsweise neu. Sie basiert auf der Tatsache, dass Bargeld keinen Zins abwirft, angeblich  aber  ein  perfektes Substitut zum elektronischen Buchgeld  darstellt. Solange  also  die  Möglichkeit  besteht, auf eine zinslose Alternative auszuwei- chen, wird das mit negativen Zinsen  behaftete Buchgeld  gemieden und eine Negativzinspolitik der Zentralbank ver- unmöglicht – so zumindest die Theorie der Kritiker. Bereits  eine einfache  Prü- fung  der  Fakten zeigt,  dass  auch  das dritte  Argument falsch ist. Gleich  meh- rere  Zentralbanken haben  jüngst negative Zinsen zwischen –0,2% und –0,75% implementiert. Die dänische  Nationalbank verwendet das Instrument seit fast drei  Jahren, und  auch  die  Schweizerische   Nationalbank  kann   mittlerweile auf ein Jahr Erfahrung zurückgreifen. Interessanterweise hat es keine dieser Zentralbanken für nötig  erachtet, flankierende Massnahmen in Form der Bar- geldabschaffung zu ergreifen. Die Koexistenz   von   geringen Negativzinsen und Bargeld  ist also möglich.

Bargeld-Kritiker vergessen oft, dass das Halten von physischer  Währung Kosten  verursachen kann; etwa für Beschaffung, Transports, Lagerung und allfällige Versicherungsprämien. Diese Kosten führen dazu, dass Bargeld meist einen negativen Ertrag abwirft. Folglich gibt es keinen  Grund zur Annahme, ein Nominalzins von null stelle einen magischen Schwellenwert dar, der wegen der Existenz  von Bargeld  nicht unterschrit- ten werden kann. Als sich die Evidenz gegen die Existenz des «Zero Lower Bound»  (ZLB) häufte,  wurde der magi- sche Wert einfach nach unten korrigiert. Der  ZLB  wich dem Begriff des «Effective  Lower  Bound»  (ELB), einer  vermeintlichen Untergrenze irgendwo  im gering negativen Zinsbereich.

Offensichtlich wird aber nach wie vor nicht verstanden, dass die Idee eines solchen globalen  Schwellenwertes grundsätzlich falsch ist, da die Kosten  und die Beweggründe für die Bargeldhaltung heterogen sind. Privatpersonen, welche nur einen relativ geringen Betrag «unter der Matratze» lagern, werden  eine ganz andere Kostenstruktur vorfinden als institutionelle Anleger, die mit enormen Summen hantieren und von Regulierungen betroffen sind. Hinzu  kommt,  dass die  Negativzinsen  lediglich  einen  Teil der Wirtschaftssubjekte betreffen. Diese Heterogenität verhindert die Existenz einer allgemeingültigen ELB, deren Unterschreitung die kollektive  Abkehr vom Buchgeld  zur Folge hat. Es handelt sich vielmehr  um einen graduellen Prozess, der durch die persönlichen Erwartungen und Kostenstrukturen   eines jeden Individuums getrieben wird.

So wie es keinen globalen Zinsschwellenwert gibt, dessen Unterschreitung  eine  kollektive  Flucht  ins Bargeld zur Folge hat, gibt es auch keinen positiven Zinsschwellenwert, bei  dem  plötzlich die komplette Nachfrage nach Bargeld versiegt. Der Grund hierfür  liegt darin, dass Bargeld ganz spezielle Eigenschaften aufweist,  die es deutlich von Buchgeld  unterscheiden. Dies zeigt etwa der starke Anstieg des Franken-Bargeldumlaufs von knapp  7% im Jahr 2008 auf nun 10% des Bruttoinlandpro- dukts, der sich nicht durch eine Verände- rung der Nominalzinsen oder der Infla- tionserwartungen erklären lässt.

Unterminiertes Vertrauen

Wir  sind  der  Ansicht,  dass  dieser  Anstieg eine direkte Folge der Finanzkrise 2007/08 und der «Euro-Krise» ist. Beide haben die Erwartungen der Wirtschafts- subjekte  stark   geprägt   und   das  Vertrauen in das Finanzsystem untergraben. Vor allem haben die Krisen auch das Vertrauen in staatliche Institutionen erschüttert. Die Fähigkeit der Zentral- bank,  erneut als Kreditgeber letzter Instanz  zu handeln, wird angezweifelt. Und auch die Möglichkeit der Regierungen, eine weitere Finanzkrise zu überstehen,  ohne dabei zu drastischen  Massnahmen wie Sondersteuern oder Zwangs- konversionen  (Grexit) greifen zu müssen, ist infrage gestellt.

Bargeld  ist ein Mittel zur Aufbewahrung liquider  Werte  ausserhalb des Finanzsystems und ermöglicht, sich gegen einen  Teil des systemischen Risikos zu schützen. Es ist eine Versicherung gegen die Zahlungsunfähigkeit von Finanzinstituten, konfiskatorische Steu- ern   sowie   Zwangskonversionen  und deshalb ein gefragtes Diversifikationsinstrument in Zeiten der  Unsicherheit. Es wäre folglich falsch, Bargeld abzuschaffen oder dessen Gebrauch weiter einzuschränken. Länder wie Frankreich und Italien, welche sich in den letzten Jahren an der Front  dieser Forderungen bewegt haben,  sollten stattdessen ver- suchen,   neues   Vertrauen  zu  schaffen. Nur so können Wirtschaftssubjekte dazu bewogen werden, wieder vermehrt im Finanzsystem zu operieren.

Aleksander Berentsen  ist Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Basel und Fabian Schär arbeitet dort als Assistent.

 

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.

Leave a Reply to Anonymous Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *