Das Europäische Deflationsgespenst

Im Juli 2014 fiel die Inflationsrate im Euro-Raum auf 0.4%. Die Expansion der Konsumentenpreise liegt damit weit unter dem Inflationsziel von 2%, welches nach Ansicht der Europäischen Zentralbank (EZB) optimal ist. Die bisherigen geldpolitischen Massnahmen der EZB haben offensichtlich ihre Wirkung verfehlt, obwohl der Leitzins für die Euro-Zone im Juni 2014 auf ein neues historisches Tief von 0.15% gesetzt wurde.

Die Zinssätze sind nahe bei null und die Inflation deutlich unter dem Inflationsziel. Was kann eine Zentralbank nun noch tun? Seit der Finanzkrise von 2008 ist dies die Schlüsselfrage der Geldpolitik. Die Erfahrungen der amerikanischen Zentralbank (FED) deuten darauf hin, dass eine Kombination von monetärer Lockerung (quantitative easing) und einer Ankündigung der zukünftigen geldpolitischen Massnahmen (forward guidance) zum Erfolg führen kann.

Mit einer monetären Lockerung würde die EZB Wertschriften aufkaufen und dabei ihre Bilanz ausweiten. In der Umgangssprache nennt man diese Massnahme „Geld drucken“. Unter forward guidance versteht man die Politik, den Verlauf der zukünftigen geldpolitischen Massnahmen anzukünden (und auch einzuhalten). So versprach beispielsweise Ben Bernanke im März 2009, dass das FED seinen  Schlüsselzins “für einen ausgedehnten Zeitraum” nahe bei null Prozent halten werde. Forward guidance kann als „extra-Kick“ das Versprechen beinhalten, die Zinsen länger tief zu halten, als es für einen Wirtschaftsaufschwung tatsächlich nötig ist. Forward guidance ist nur dann wirksam,  wenn  sie vom Markt als Glaubwürdig akzeptiert wird. Sie lebt von der Reputation einer Zentralbank. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sie ein negatives Signal abgibt. Wenn der Markt  eine Ankündigung derart interpretiert, dass die Zentralbank ein sehr pessimistisches Zukunftsszenario hat,  kann sich  dadurch auch die pessimistische Einstellung der Marktteilnehmer verfestigen.

Um einer solchen pessimistischen Interpretation entgegen zu wirken, hat die Federal Reserve Bank ihr „forward guidance“ angepasst, indem sie zwei Schwellenwerte definierte: einen Inflationsschwellenwert von 2.5% und einen Schwellenwert von 6.5% für die Arbeitslosenrate. Die forward guidance bestand darin, den Schlüsselzins bei nahe null Prozent zu halten bis diese Schwellenwerte erreicht werden.

Die amerikanische Wirtschaft hat den ersten Schwellenwert bereits erreicht, da die Arbeitslosenrate zurzeit bei 6.2% Prozent liegt. Auch die Inflationsrate ist nicht weit vom Zielwert  von zwei Prozent entfernt. Damit ist das FED  weit erfolgreicher als die EZB. In den USA wird bereits darüber diskutiert, wie der Ausstieg aus der monetären Lockerung vollzogen werden soll und wann das FED die Zinsen anheben wird. Die Euro-Zone befindet sich dagegen immer noch im Jammertal. Die EZB ist im Zugzwang und wird früher oder später zu ähnlichen Massnahmen greifen, vermutlich schon in diesem Herbst.

Ich habe in diesen Zeilen bis anhin den  Mainstream  bezüglich der heute praktizierten Geldpolitik präsentiert. Viele Kommentatoren, Ökonomen und Zentralbanken sind mit dieser Interpretation mehr oder weniger einverstanden. Natürlich streitet sich die Profession um Details, doch die Eckpfeiler werden nicht diskutiert. Einer der zentralen Eckpfeiler der Geldpolitik ist das Inflationsziel von 2%. Dieses Ziel wird plus minus von allen Zentralbanken geteilt. Sie denken deshalb sicher, dass es für dieses Ziel auch entsprechend überzeugende  wissenschaftliche Evidenz gibt. Ich muss sie leider enttäuschen. Es gibt keine und zwar absolut keine wissenschaftliche Evidenz dafür. Es gibt Hinweise darauf, dass hohe Inflationsraten, also 10% und mehr schädlich sind. Selbstverständlich ist auch eine Hyperinflation, wie sie beispielweise Deutschland in den Zwischenkriegsjahren erlebt hat, Gift für die Ökonomie. Eine starke Deflation ist sicher auch nicht erstrebenswert. Doch in der Vergangenheit gab es beispielsweise durchaus  mehrere  Episoden, in denen ein robuster Wirtschaftsboom über viele Jahre mit einer leichten Deflation einhergegangen ist.

Es gibt absolut keine wissenschaftliche Evidenz, dass 2% Inflation besser ist  als 1% oder 3%. In den meisten theoretischen Modellen ist Preisstabilität (0% Inflation) oder sogar eine leichte Deflation optimal. Eine Zentralbank, welche die Inflation mit allen Mitteln von 0.5% auf 2% anheben möchte geht damit beträchtliche Risiken ein; für ein Ziel dessen ökonomische Notwendigkeit wissenschaftlich keinesfalls bewiesen ist.  Eine null Zins Politik über mehrere Jahre und eine massive Expansion der Zentralbankenbilanz schaffen  wieder ihre eigenen Probleme. So werden zum Beispiel Investitionsentscheide  verzerrt und an den Vermögensmärkten können Blasen entstehen. Vielleicht wäre es für die EZB besser,  das Inflationsziel einfach auf 1% oder gar 0.5% zu senken. Dann könnte sie auf zusätzliche geldpolitische Massnahmen verzichten. Da keine Zentralbank auch nur den Anschein macht am Inflationsziel von 2% zu rütteln, ist das allerdings wenig wahrscheinlich. Wir können also nur hoffen  (und dafür beten), dass die EZB mit ihrer Politik richtig liegt.

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